Kürzlich erweckte die Übersetzung eines Textes von Luciano
Berio in mir einen lang gehegten Wunsch, der sich über die
Jahre etwas abgekühlt hatte, zu neuem Leben: endlich einmal
Antonionis China-Film mit eigenen Augen zu sehen.
1999 hatte ich für den akademischen Betrieb einen Aufsatz
von Roland Barthes übersetzt, der noch nicht auf deutsch
erschienen war: "Le bruissement de la langue", das Rauschen
der Sprache. Dieser kurze Text von 1975 kulminiert in der
Beschreibung einer Szene aus Antonionis Film, in deren
Verlauf Barthes "das Rauschen der Sprache" vernommen zu
haben meinte: "In einer Dorfstraße lesen Kinder, an eine Mauer
gelehnt, laut und jeder für sich alle zusammen ein anderes
Buch." (Übersetzung: Dieter Hornig)
Wenn es darum geht, eine Ekphrasis zu übersetzen, entsteht
in mir unweigerlich der Wunsch, das, was von anderen Augen
gesehen und genauestens beschrieben wurde, mit den eigenen
zu sehen. Ob sich dieser Wunsch lediglich meiner besonderen
Disposition schuldet, man in der Regel auf diese außersprachliche
Referenz jedoch durchaus verzichten könnte, mag ich nicht
entscheiden. Er war da und ließ mich nach dem Film suchen.
Vor nunmehr fast zehn Jahren blieb diese Suche ergebnislos.
Diesmal konnte der wiedererweckte Wunsch postwendend
befriedigt werden. Feltrinelli hat 2007 den "unauffindbaren
Dokumentarfilm Antonionis über China" als DVD veröffentlicht.
Der erste Eindruck, den Chung Kuo – Cina auf mich machte:
Es gibt Wünsche, die es hartnäckig zu hegen lohnt.