Dienstag, 29. Dezember 2020

Das Jahr der offenen Briefe


Ein herausstechendes Merkmal des sich dem Ende zuneigen- den Jahres war der offene Brief.

Sonntag, 29. November 2020

Verschwunden


E fumavamo marijuana

Davanti all'istituto Majorana

E anche tu scomparso da un po' 

E anche io scomparso da un po'

 

Samstag, 31. Oktober 2020

Lila Luft

Wer auf den Fotografien von Melis und Hauswald nicht die vom Feuilleton gefeierte Vielfalt der „Ostdeutschen“ erkennen, sondern lediglich zur Kenntnis nehmen konnte, dass keine Exilanten aus antikommunistischen Diktaturen, keine vietnamesischen oder kubanischen Vertragsarbeiter, keine Studenten aus sozialistischen Bruderländern zu sehen waren, ging zur Erholung seiner des Ethnopluralismus müden Westler-Augen einfach in die Michael-Schmidt-Ausstellung im Hamburger Bahnhof.

Als ich die Ausstellung kurz vor der allgemeinen Museumsschließung besuchte, blieb jedoch nicht die Vielfalt Westberlins, sondern die Prominenz eines Motivs hängen: Mindestens fünfmal taucht die Ruine des Anhalter Bahnhofs auf, das zweitikonischste Ruinenmahnmal der Stadt. Ich dachte an den Studentenjob im Postamt 11, Fußballspiele mit Lesegruppen- und Vertragsarbeiterfreunden und die Legenden über das Saskatchewan im Excelsior-Haus. Und war nicht Celan im Winter 67 über die verschneite Brache gestapft? So jedenfalls berichtet es nicht nur Szondi in seiner Celan-Studie „Eden“, sondern – aus erster Hand – auch Marlies Janz:

In der Nacht vom 19. auf den 20. Dezember fuhren Celan, Walter Georgi und ich am Landwehrkanal entlang zum Anhalter Bahnhof; auf diese Nacht bezieht sich das dritte Berliner Gedicht Lila Luft. Den Anlaß zu dieser Fahrt hatte gegeben, daß Celan zuvor von seiner Durchreise durch Berlin 1938 erzählt hatte […]. Auf dem großen Ödplatz vor der Ruine des Anhalter Bahnhofs stapften wir durch den Schnee…

So steht es in Fußnote 214 ihres Buchs Vom Engagement absoluter Poesie. Da war er wieder, der lang gehegte Wunsch, Marlies Janz einmal darauf anzusprechen, ob sie nicht noch mehr zu berichten habe über Celans 14-tägigen Berlinaufenthalt. Doch dafür ist es nun zu spät. Bei meiner Suche nach Kontaktdaten stieß ich auf den Nachruf von Irmela von der Lühe: „Mit Bestürzung und Trauer nimmt das Institut für Deutsche und Niederländische Philologie der Freien Universität Berlin Abschied von Prof. Dr. Marlies Janz, die am 21. September 2020 verstorben ist.“       

Samstag, 26. September 2020

Rendezvous mit dem Oger

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Kürzlich stolperte ich über einen Titel, den der Verlag, für
den ich in den home schooling days nächtens den vierten
Agamben übersetzt habe, Anfang des Jahres veröffentlicht
hat: Philippe Murays Das Reich des Guten. War der nicht
vor vier Jahren von Houellebecq in seiner Dankesrede für
den Frank-Schirrmacher-Preis dem deutschen Leser ans
Herz gelegt worden? Ich schaute mal nach: "Houellebecq
Muray Schirrmacher". Volltreffer:
 
Ich habe den Eindruck, dass weder Maurice Dantec noch
Philippe Muray im deutschsprachigen Raum sehr bekannt
sind. Das bedauere ich, aber ich werde gleichwohl von ih-
nen sprechen […]. Die Ideen von Muray und Dantec ver-
dienen Verbreitung, sehr viel mehr als jene der meisten In-
tellektuellen und auch mehr als meine.
 
Auf der Homepage des Verlags rühmt man sich allerdings
nicht damit, Houellebecqs To-do-list auf vorbildliche Weise
abzuarbeiten, sondern preist das 29 Jahre alte, leicht ranzig
gewordene Buch dafür, „in ähnlicher Hellsichtigkeit [, wie sie]
Botho Strauß’ skandalträchtigem Anschwellendem Bocksge-
sang [eignete], in erstaunlicher Weise unsere Gegenwart vor-
weg[zunehmen]“.
 
 

Dienstag, 1. September 2020

Warburgs Medien

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Ein Unterschied zwischend der trajanischen Siegesgöttin und der »Vittoria fiorentina casalinga« besteht darin, dass diese im Profil erscheint; aber auch diese Stellung fand die Ghirlandajowerkstatt in ihrem Skizzenbuch nach antikem Muster vorgeprägt (Abb. 84): eine Frau mit flatterndem Gewande, die sogar auch einen Korb mit Früchten trägt, befindet sich auf Seite 51.

Dieser Korb mag ein Zusatz sein; die ganze Figur kommt genau so als Nymphe auf einem bacchischen Sarkophage vor, wo sie an Stelle des Korbes Zymbeln in der Hand trägt.“

DER EINTRITT DES ANTIKISIERENDEN IDEALSTILS IN DIE MALEREI DER FRÜHRENAISSANCE. – FLORENZ, KUNSTHISTORISCHES INSTITUT 20. IV. 914

Mittwoch, 29. Juli 2020

Homo sacer komplett

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

 

 

 

 

 

 

 

Buttando nel vento

Il lavoro di anni

Perché nemmeno da vecchi si sa 

Cosa faremo da grandi

 

LUCIO CORSI 

Dienstag, 30. Juni 2020

Courbet und die Vendôme-Säule

















Die gußeiserne Cigarre mit dem Männchen im römischen Triumphatormantel steht wieder mitten auf dem für sie be-

stimmten Platze, und jener Mann, der an derselben rüttelte,

liegt unter der kühlen Erde eines poetischen schweizer Fried-

hofes am Leman-See. Wie der Maler Courbet, der oft ge-

nannte Vertreter der äußersten Linken in der realistischen

Kunstrichtung, dazu kam, gegen die Säule einen solchen

Haß zu fassen, ist vom doppelten Standpunkt, vom politi-

schen wie vom künstlerischen, erklärlich. Politisch wurde

Courbet durch die Lobeserhebungen, welche seine Weige-

rung, das Kreuz der Ehrenlegion anzunehmen (1870), her-

vorrief, berauscht und fühlte sich berufen, seinen Republika-

nismus durch eine Thatsache zu bekräftigen. Aesthetisch

machte ihn die unliebsame Säule nervös dadurch, daß er

sie beständig vor Augen hatte, denn nach dem 4. Septem-

ber 1870 wurde Courbet mit der Oberaufsicht der Museen

betraut und thronte in dem reichgeschmückten Cabinet im

Louvre-Palais.

 

Trat er nun nach beendigter Arbeit oder nach einer erhitzten
ästhetischen Debatte an’s Fenster seines Cabinets, so traf
sein Blick die Vendôme-Säule, jene im Jahre 1807 zur Ver-
herrlichung der Thaten der „großen Armee“ errichtete bronze-
ne Cigarre, die sehr ungraziös den circusförmigen Vendôme-
Platz verunstaltete. Sowohl das unästhetische Denkmal, wie
das Standbild Napoleon’s des Ersten machten den Künstler
Tag für Tag nervöser; er wurde als Nachbar der persönliche
Feind der Vendôme-Säule. Sein Unmuth äußerte sich bereits
am 14. September in einem Briefe an die Nationalregierung,
in dem er sich anheischig machte, die betreffende Säule zu
stürzen. Die Nationalregierung ließ diesen Antrag ohne allen
Bescheid, aber in den Augen der gegen den Bonapartismus
aufgebrachten Menge stieg noch die Popularität Courbet’s.

So nachzulesen in Paul d’Abrests Artikel „Courbet und die Ven-

dôme-Säule“ für Die Gartenlaube, Heft 9, S. 148-150 (1878).

Samstag, 30. Mai 2020

Gottesstaat


















Wer wissen will, was das — wie sich Schlossbefürworter
wohl ausdrücken würden — Kreuz von „ausnehmender Ge-
schmacklosigkeit“ oder besser „ausgesuchter Hässlichkeit“
abwehren soll, kann sich bei Friedrich Julius Stahl, Berater
der Kamarilla Friedrich Wilhelms IV. kundig machen. In sei-
nem am 8. März 1852 auf Veranstaltung des Evangelischen
Vereins für kirchliche Zwecke gehaltenen Vortrag „Was ist
die Revolution?“ heißt es:

Die Revolution fordert die Volkssouverainetät, sey es die
demokratische Republik, sey es die Monarchie, in welcher
der König Knecht des Parlaments, das Parlament Knecht
der öffentlichen Meinung oder der Volksmasse ist.

Die Revolution fordert die Freiheit, das Gewährenlassen in
allen Gebieten, unbegränzte Theilbarkeit und Veräußerlich-
keit des Grundeigenthums, unbegränzte Ansässigmachung
und Gewerbefreiheit, unbegränzte Freiheit der öffentlichen
Lehre, der Sectenstiftung, der Ehescheidung. Sie fordert Ab-
schaffung der Todesstrafe, Straflosigkeit der Gotteslästerung,
ehrenvolles Begräbniß des Selbstmörders.

Montag, 13. April 2020

Messaggi dallo Studio(lo) 4


















Heute, 12. April 2020, Ostersonntag, sind in Italien 431
Menschen im Zusammenhang mit COVID-19 gestorben,
il numero più basso dal 19 marzo, „so wenige wie seit
19. März nicht mehr“. Europa atmet auf… Europa? Gibt
es das noch? Gab es das je? Der im Mai 1993 in Mailand
geborene Ghali Amdouni jedenfalls glaubt: *SONO EU-
ROPEO*. Und hat das Karfreitag auf Instagram gepostet.
Sein Post ist innerhalb von zwei Tagen 3572 mal kom-
mentiert worden. Wer wissen will, was auf uns Europä-
er in nächster Zeit zukommt, sollte die Kommentare
mal bisschen genauer studieren.

Statt sich darüber Gedanken zu machen, ob man, wäre
man Verleger, Lindemanns „Lyrik“ veröffentlichen wür-
de, oder Tocotronics Trostgesang schönzureden, könnte
man ja, als guter Europäer, einfach mal da sein, wo die
action ist: reinhören in Lucio Corsis neues Album, sich
freuen auf das erste Soloalbum des BAUSTELLE-Mitglieds
Francesco Bianconi. Oder sich fragen, warum alle euro-
päischen Kinder zwischen sechs und sechzehn Ghali lie-
ben. Meinen (7 und 11) ist er ein Idol. „Good Times“,
„Jennifer“ und „Combo“ von der gerade erschienenen
Platte DNA werden schon, mehr schlecht als recht, von
ihnen mitgesungen.     

Montag, 16. März 2020

Messaggi dallo Studio(lo) 3


















Italien hat seit genau einer Woche sein Corona-Gedicht:
Nove marzo duemilaventi („9. März 2020“). Geschrieben
hat es Mariangela Gualtieri, die noch vor einem halben
Jahr in Marano sul Panaro auf dem Poesia Festival von
Modena Gedichte von Giovanni Pascoli (1855-1912) vor-
trug (siehe oben).
 
[…] Per la prima volta 
stringere con la mano un’altra mano 
sentire forte l’intesa. Che siamo insieme.
Un organismo solo. Tutta la specie
la portiamo in noi. Dentro noi la salviamo.

A quella stretta
di un palmo col palmo di qualcuno
a quel semplice atto che ci è interdetto ora –
noi torneremo con una comprensione dilatata.
Saremo qui, più attenti credo. Più delicata
la nostra mano starà dentro il fare della vita.
Adesso lo sappiamo quanto è triste
stare lontani un metro.

Samstag, 14. März 2020

Messaggi dallo Studio(lo) 2


















Qualcuno doveva aver calunniato Giuseppe C., …

#giuseppeconte #josephcomte #joséconde #josefgraf

Freitag, 13. März 2020

Messaggi dallo Studio(lo)


















Non è tempo di cantare
Alterare la realtà
Però anche Schopenhauer
Scrisse di felicità