Dass es Sprachkritikern in der Regel nicht um die Sprache
geht, sondern um die Diskreditierung konkreter Sprecher,
haben uns kürzlich die üblichen Verdächtigen wieder ein-
mal in Erinnerung gerufen. Erst erklärte Matthias Heine,
der Hobbyphilologe der WELT, Warum Flüchtlinge jetzt
oft „Refugees“ heißen, am Tag darauf spitzte Jan Fleisch-
hauer im Titel seiner SPIEGEL-Kolumne den besorgniserre-
genden Befund zu: Es heißt jetzt Refugee. Seinem kämpfe-
rischeren Naturell entsprechend wechselt er vom Modus
onkelhaften Erklärens in den des Warners vor einem dro-
henden gutmenschentümlichen Sprachgebot.
Werfen wir einen Blick in das Elaborat Heines, der meint,
ein neues linkes Schibboleth ausgemacht zu haben: „Denn
Linke erkennt man daran, dass sie von Refugees statt von
Flüchtlingen reden, und je linker, desto mehr sind sie zum
Gebrauch dieses Ausdrucks verpflichtet.“ Zwar gebe es für
Schilder mit der Aufschrift refugees welcome sprachprag-
matische Gründe, da man des Deutschen nicht mächtigen
Personen mitteilen wolle, „dass ihnen an dem so markier-
ten Ort geholfen wird“, sein inflationärer Gebrauch müsse
jedoch andere Gründe haben.
Doch warum scheuen Linke vor dem Wort Flüchtlinge zurück?
[…] Es dürfte wohl der gleiche Grund dahinter stecken, der
viele Menschen neuerdings von Porn statt von Porno sprechen
lässt: Der englische Begriff klingt irgendwie neutraler, asepti-
scher, befreit von allen Konnotationen, die an so einem Wort
hängen. Und vor den historisch bedingten Nebenbedeutungen
des Wortes Flüchtling scheuen Linke mit einigem Recht zurück.
Weder die Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebie-
ten nach 1945 noch auch diejenigen aus der DDR nach 1961 wur-
den von ihnen jemals mit soviel Mitleid gewürdigt wie die neu-
en Flüchtlinge auf dem Mittelmeer. Da kann es schon eine se-
mantische Strategie sein, so zu tun, als handele es sich jetzt
bei den Refugees um einen ganz neuen Typus.
Einmal davon abgesehen, dass Heines Springer-Kollegen, die für
Blätter ohne Hausphilologen arbeiten, sich an refugee porn auf
der Titelseite aufgeilen, ist diese Erklärung auch noch aus ande-
ren Gründen pikant. Denn „die Flüchtlinge aus den ehemaligen
deutschen Ostgebieten nach 1945“ hießen in der alten BRD be-
kanntlich nicht Flüchtlinge, sondern Heimatvertriebene. Hier ist
nicht der Ort, die hinter dieser Benennung stehende „semanti-
sche Strategie“ zu erörtern. Vom offiziellen DDR-Begriff „Repu-
blikflüchtige“ ganz zu schweigen. Skandalös ist dieser Deutungs-
versuch jedoch aus einem anderen Grund: Er unterschlägt die
deutschen Flüchtlinge nach 1933, die gezwungen waren, ihre ge-
liebte Muttersprache aufzugeben und sich fortan in der Sprache
ihres Gastlandes mitzuteilen.
Der in Parchim geborene Erich Weil hieß nunmehr Éric Weil und
wurde französischer Professor, Leo Strauss, Ernst Kantorowicz geht, sondern um die Diskreditierung konkreter Sprecher,
haben uns kürzlich die üblichen Verdächtigen wieder ein-
mal in Erinnerung gerufen. Erst erklärte Matthias Heine,
der Hobbyphilologe der WELT, Warum Flüchtlinge jetzt
oft „Refugees“ heißen, am Tag darauf spitzte Jan Fleisch-
hauer im Titel seiner SPIEGEL-Kolumne den besorgniserre-
genden Befund zu: Es heißt jetzt Refugee. Seinem kämpfe-
rischeren Naturell entsprechend wechselt er vom Modus
onkelhaften Erklärens in den des Warners vor einem dro-
henden gutmenschentümlichen Sprachgebot.
Werfen wir einen Blick in das Elaborat Heines, der meint,
ein neues linkes Schibboleth ausgemacht zu haben: „Denn
Linke erkennt man daran, dass sie von Refugees statt von
Flüchtlingen reden, und je linker, desto mehr sind sie zum
Gebrauch dieses Ausdrucks verpflichtet.“ Zwar gebe es für
Schilder mit der Aufschrift refugees welcome sprachprag-
matische Gründe, da man des Deutschen nicht mächtigen
Personen mitteilen wolle, „dass ihnen an dem so markier-
ten Ort geholfen wird“, sein inflationärer Gebrauch müsse
jedoch andere Gründe haben.
Doch warum scheuen Linke vor dem Wort Flüchtlinge zurück?
[…] Es dürfte wohl der gleiche Grund dahinter stecken, der
viele Menschen neuerdings von Porn statt von Porno sprechen
lässt: Der englische Begriff klingt irgendwie neutraler, asepti-
scher, befreit von allen Konnotationen, die an so einem Wort
hängen. Und vor den historisch bedingten Nebenbedeutungen
des Wortes Flüchtling scheuen Linke mit einigem Recht zurück.
Weder die Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebie-
ten nach 1945 noch auch diejenigen aus der DDR nach 1961 wur-
den von ihnen jemals mit soviel Mitleid gewürdigt wie die neu-
en Flüchtlinge auf dem Mittelmeer. Da kann es schon eine se-
mantische Strategie sein, so zu tun, als handele es sich jetzt
bei den Refugees um einen ganz neuen Typus.
Einmal davon abgesehen, dass Heines Springer-Kollegen, die für
Blätter ohne Hausphilologen arbeiten, sich an refugee porn auf
der Titelseite aufgeilen, ist diese Erklärung auch noch aus ande-
ren Gründen pikant. Denn „die Flüchtlinge aus den ehemaligen
deutschen Ostgebieten nach 1945“ hießen in der alten BRD be-
kanntlich nicht Flüchtlinge, sondern Heimatvertriebene. Hier ist
nicht der Ort, die hinter dieser Benennung stehende „semanti-
sche Strategie“ zu erörtern. Vom offiziellen DDR-Begriff „Repu-
blikflüchtige“ ganz zu schweigen. Skandalös ist dieser Deutungs-
versuch jedoch aus einem anderen Grund: Er unterschlägt die
deutschen Flüchtlinge nach 1933, die gezwungen waren, ihre ge-
liebte Muttersprache aufzugeben und sich fortan in der Sprache
ihres Gastlandes mitzuteilen.
Der in Parchim geborene Erich Weil hieß nunmehr Éric Weil und
und Hannah Arendt verschlug es in die Vereinigten Staaten. Ihre
Publikationen verfassten sie von nun an auf Englisch. Ein Blick
auf die Rückseite von Hannah Arendts „passersetzendem Identi-
tätsnachweis (Affidavit of Identity in Lieu of Passport)“ aus dem
Jahr 1949 (Detail s.o.), lässt Heines pseudokluges Räsonnement
so verblödet erscheinen, wie es tatsächlich ist. Und es kommt
noch besser: 1943 veröffentlichte Hannah Arendt im Menorah
Journal, einer jüdischen Zeitschrift in englischer Sprache, einen
Artikel mit der Überschrift We refugees, der 1986 in einer Auf-
satzsammlung (Zur Zeit. Politische Essays) auch auf Deutsch er-
schien. Im Original beginnt er so:
In the first place, we don’t like to be called “refugees.” We
ourselves call each other “newcomers” or “immigrants.” Our
newspapers are papers for “Americans of German language”;
and, as far as I know, there is not and never was any club foun-
ded by Hitler-perscuted people whose name indicated that its
members were refugees.
A refugee used to be a person driven to seek refuge because
of some act committed or some political opinion held. Well,
it is true we have had to seek refuge; but we committed no
acts and most of us never dreamt of having any radical opinion.
With us the meaning of the term “refugee” has changed. Now
“refugees” are those of us who have been so unfortunate as to
arrive in a new country without means and have to be helped
by Refugee Committees.