Am 15. Juli jährt sich Benjamins Geburtstag zum 125sten,
anderthalb Monate später, am 31. August, Baudelaires To-
destag zum 150sten Mal. Das Buch der Stunde ist, vor fast
fünf Jahren, bei Neri Pozza erschienen: Walter Benjamin,
Charles Baudelaire. Un poeta lirico nell’età del capitalis-
mo avanzato, herausgegeben von Giorgio Agamben, Barba-
ra Chitussi und Clemens-Carl Härle. Wer des Italienischen
nicht mächtig ist, kann die französische Übersetzung von
Patrick Charbonneau konsultieren, die ein Jahr später im
Pariser Verlag La fabrique erschienen ist. Dass dieser Ben-
jamin’sche Baudelaire nichts mit den von Rolf Tiedemann
unter demselben Titel („Ein Lyriker im Zeitalter des Hoch-
kapitalismus“) 1969 bei Suhrkamp herausgegebenen „zwei
Fragmenten“ zu tun hat, lässt schon der schiere Umfang
erahnen: Während Tiedemanns „Fragmente“ auf 200 Sei-
ten kommen, sind es bei Neri Pozza knapp 1000.
Aufschluss gibt ein offener Brief Agambens an Giulio Ei-
naudi und dessen Replik, die November 1996 in Repubbli-
ca, der maßgeblichen Zeitung Italiens, erschienen und in
deren Onlinearchiv noch immer abzurufen sind. Aus ihnen
geht hervor, dass Rolf Tiedemann die Übernahme des Ei-
naudi-Verlags durch Berluscolnis Verlagsgruppe Mondadori
genutzt hat, um Agamben als Herausgeber der italienischen
Benjamin-Ausgabe wegzuputschen. Er konnte es Agamben
nicht verzeihen, dass er verloren geglaubte Manuskripte in
der BNF aufgetrieben hatte. Ohne Tiedemanns Kollaboration
mit Berlusconi wäre es undenkbar, dass zum 125. Geburtstag
Benjamins lediglich Swastika-Spezialist Lorenz Jäger ein Buch
zum Jubiläum vorlegt. Über Agambens, Chitussis und Härles
Vorschlag verliert das deutsche Feuillleton kein Wort. Was es
gibt: „antideutsches“ Agamben-Bashing…
AUCH DIE TOTEN WERDEN VOR DEM FEIND, WENN ER SIEGT,
NICHT SICHER SEIN.