Dienstag, 24. August 2010

Eilmeldung


Rote Karte für Sina Najafi. Erst jetzt wird bekannt, dass
Sina Najafi, der Editor-in-chief des New Yorker Magazins
Cabinet am 22. Mai dieses Jahres auf den Red Hook ball
fields in Brooklyn des Platzes verwiesen wurde. Das Team
des Cabinet Soccer Club wartete auf seinen Gegner aus
Istanbul: Beşiktaş FC. Dieser war mittels Postkarten, die
dem Winter-2009/10-Heft von Cabinet beigefügt waren,
von den Lesern zu einem Freundschaftsspiel in Brooklyn
eingeladen worden: „As you know, Brooklyn and
Beşiktaş
are sister cities, a relationship that fills our hearts with
joy. To further encourage the bonds of friendship between
our two cities, we, the supporters of the Brooklyn-based
Cabinet Soccer Club, hereby challange you to a football
(what we call "soccer") match to be played in Brooklyn's
Prospect Park on Saturday, 22 May 2010, at 6 pm.“

Beşiktaş Istanbul trat nicht an. Das Cabinet-Team (Claire
Lehmann, Laura Harmon, Richard Fleming, James Burns,
Alexander Nagel, Simon Critchley, Alexandra Cardia, Lau-
rel Braitman, Paul Fleming, Sina Najafi, Kristofer Widholm,
Hakan Topal, Heather Wagner und Nina Katchadourian) war-
tete vergeblich. Irgendwann erklärt
Schiedsrichter Leland
de la Durantaye den Cabinet SC zum Sieger. Es hätte ein
Spaziergang werden können: Kampflos besiegt die schlaffe
Truppe aus Brooklyn den türkischen Meister. Doch Herr Na-
jafi, des Wartens müde, ließ sich dazu hinreißen, das eben
erschienene Agambenbuch des Schiedsrichters zu kommen-
tieren. Dafür darf man schon mal die Rote Karte zücken.

Sonntag, 15. August 2010

Ferragosto 2010


Giorgio Agamben, Herrschaft und Herrlichkeit. Zur theo-
logischen Genealogie von Ökonomie und Regierung (Homo
sacer II.2), es 2520, 368 Seiten, 20,00 € (16. Aug. 2010).

Anders als das Englische gehört das Deutsche zu den ger-
manischen Sprachen, die weder lateinisch noch romanisch
kultiviert worden sind. Dies hat zur Folge, daß der etymo-
logische Zusammenhang nahezu aller Begriffe, die im Zen-
trum der vorliegenden »theologisch-genealogischen« Unter-
suchung stehen, bei ihrer Übertragung ins Deutsche verlo-
rengehen mußte. Der Titel des Buches zählt diese Schlüssel-
begriffe auf: Il Regno e la Gloria. Per una genealogia teolo-
gica dell’economia e del governo.

Lediglich das Wort economia aus dem Untertitel konnte ein-
heitlich mit »Ökonomie« übersetzt werden […]. Gloria […]
wurde bis auf wenige Stellen, an denen es […] als »Ruhm«
oder »Ehre« übertragen werden mußte, mit »Herrlichkeit«
übersetzt […]. Als besonders folgenschwer erwies sich die
sachlich notwendige Entscheidung, das Wort regno (»Reich«,
»Herrschaft«) nur in Kombination mit Gott (regno di dio,
»Reich Gottes«) mit »Reich« zu übersetzen, in allen ande-
ren Fällen aber mit »Herrschaft«. Notwendig war die Ent-
scheidung, weil Agamben das terminologische Gegensatz-
paar Regno/Governo, das seiner Rekonstruktion der abend-
ländischen »Regierungsmaschine« zugrunde liegt, aus der
französischen Formel Le roi règne, mais il ne gouverne pas
ableitet. Nun muß dieses »geflügelte Wort«, das Agambens
Gewährsmänner Peterson, Schmitt und Foucault an zentra-
ler Stelle zitieren, aller etymologischen Folgerichtigkeit
zum Trotz als »Der König herrscht, aber regiert nicht« über-
setzt werden. Daraus folgt, daß das zentrale Gegensatzpaar
[…] auf deutsch »Herrschaft/Regierung« heißt, wobei »Herr-
schaft« nicht als Herrschaftsbereich verstanden werden darf.
Es meint vielmehr die […] schwer faßbare Tätigkeit des Herr-
schens selbst[…]. Dasselbe gilt für den zweiten Term der Op-
position: »Regierung« bezeichnet nicht das von einem Regie-
rungschef geleitete Kollektiv der Minister, sondern die Tätig-
keit des Regierens, […] die konkrete Durchsetzung der formal
herrschenden Gesetze. Bleibt anzumerken, daß auch governo
nicht einheitlich mit »Regierung« resp. »Regieren« übersetzt
werden konnte. Anders als das […] unspezifische Wort »regie-
ren« entstammt governare dem nautischen Bereich. Das la-
teinische gubernare leitet sich [vom] griechischen κῠβερνάω
ab und bedeutet wie dieses ursprünglich »Steuermann sein,
das Steuerruder führen oder lenken, etwas steuern«. Wann
immer diese handgreiflichere Bedeutung des Regierens in
[…] Agambens Argumentation in den Vordergrund trat, wur-
de governo als »Lenkung«, governare als »lenken« übersetzt.

Diesen Überlegungen ist auch der deutsche Titel des Buches
geschuldet: Herrschaft und Herrlichkeit. Er ist insofern er-
klärungsbedürftig, als der Titel des Originals (Il Regno e la
Gloria) unübersehbar auf die das Vaterunser beschließende
Doxologie anspielt: Tuo il regno, Tua la potenza e la gloria
nei secoli dei secoli (»Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit«). Dies sprach zunächst für
den Titel Das Reich und die Herrlichkeit, der jedoch auf-
grund der dargelegten Bedenken nicht in Frage kam.

(Aus der »Notiz des Übersetzers«, S. 354f.)