Mittwoch, 24. Januar 2018

Prosa der Verhältnisse


















Bis heute hatte ich nicht den geringsten Anlass, meinem
Vorsatz, mich nicht durch Kommentierung von Onlinear-
tikeln zum Deppen zu machen, untreu zu werden. Nach
der Lektüre des Artikel „Löschung und Überschreibung“
von Andreas Platthaus, einem Kommentar der Entschei-
dung des Senats der Berliner Alice-Salomon-Hochschule,
Eugen Gomringers Gedicht „Avenidas“ an der Südfassade
des Gebäudes durch ein anderes zu ersetzen, gab es kein
Halten mehr. Ich meldete mich im Kommentarbereich der
FAZ an und hämmerte 335 Zeichen in das dafür vorgesehe-
ne Feld:

Da man es „poetologisch versierten“ Institutionen wie
dem Feuilleton der F.A.Z. und dem P.E.N. eh nicht recht
machen kann, sollte man einfach den Titel der 1906 bei
Duncker & Humblot in Leipzig erschienenen Dissertation
Alice Salomons an die Südfassade schreiben: „Die Ursa-
chen der ungleichen Entlohnung von Männer- und Frau-
enarbeit“.

Herzlichen Dank, liebe FAZ, dass Deine Moderatoren mir
geholfen haben, meinem Vorsatz auch weiterhin treu ge-
blieben zu sein. Wäre mir echt peinlich gewesen, wenn
sie den Kommentar hochgeladen hätten. Aber vielleicht
verstößt er ja auch gegen die „Richtlinien“: nicht kon-
struktiv genug. Wie wäre es mit:

Weshalb übermalen: Freskomalerei kann durchaus abge-
tragen und andernorts angebracht werden. Im Fall von
Gomringers Zeilen bietet sich eine Fassade des Litera-
turinstituts in Hildesheim oder eines Studentinnenwohn-
heims (mit kleinem i) des Opus Dei an: Habitate der vom 
FAZ-Feuilleton so hoch geschätzten Poesie des (abenteu-
erlichen) Herzens.
   

Dienstag, 23. Januar 2018

Cinquant’anni fa


















Heute vor fünfzig Jahren war am Moabiter Kriminalgericht
der letzte Verhandlungstag eines Prozesses gegen neun
Demonstranten, die im August 1966 die Aufführung des
Films Africa Addio im Filmtheater Astor am Ku’damm zu
verhindern versucht hatten. Als der vorsitzende Richter,
Amtsgerichtsrat Kurt Gente — Vater des vor bald vier Jah-
ren gestorbenen Mitgründers und langjährigen Geschäfts-
führers des Merve Verlags Peter Gente — mit der Urteils-
verkündung begann, landete nur wenige Meter vom Rich-
tertisch entfernt ein Kanonenschlag. Aus dem Publikum
regnete es gelbe Flugzettel im Duodezformat, die beidsei-
tig mit roter, serifenloser Schrift bedruckt waren. 

Am 24. Januar 1968 berichtete der Tagesspiegel, dass
„einige der an den Krawallen beteiligten Mädchen […]
ununterbrochen gellende Schreie aus[stießen]. Zeitweise
standen Rauchwolken im Saal. Nur mit Mühe gelang es,
die randalierenden Gruppen die drei Treppen hinunter und
schließlich aus dem Hauptportal zu drängen, wo Scheiben
zerschlagen wurden.“ Es lohnt, den — in gut sortierten An-
tiquariaten günstig zu erwerbenden — Flugzettel aufmerk-
sam zu lesen. Denn er verdeutlicht einen Aspekt, den Jür-
gen Kaube bei seiner Erledigung des 68-Jubiläums in der
FAZ (bewusst?) unterschlägt: die Anti-Nazi-Kampagne.
















Organisieren wir den
UNGEHORSAM
gegen die Nazi-Generation.

Ehemalige Nazi-Richter wollen über uns „Recht“ sprechen.
Ausgerechnet der Moabiter Amtsrichter Gente — einst Mit-
glied der Nazipartei — will unsere Kommilitonen „verurtei-
len“, die gegen den faschistischen Rassenhetzerfilm „africa
addio“ protestiert haben.

Aber wir haben noch schlimmeres als diesen Gente: Wir ha-
ben sogar einen ehemaligen Nazipropagandisten als Bundes-
kanzler!
Unsere Geduld muss jetzt ein Ende haben: Machen wir Schluß
damit, daß nazistische Rassenhetzer, daß die Juden-Mörder,
die Slawen-Killer, die Sozialisten-Schlächter, daß die ganze
Nazi-Scheiße von gestern weiterhin ihren Gestank über unse-
re Generation bringt.

Holen wir nach, was 1945 versäumt wurde. Treiben wir die
Nazi-Pest zur Stadt hinaus. Machen wir endlich eine richtige
Ent-Nazifizierung. Heizen wir ihnen so ein, daß ihnen die fet-
ten Gehälter, Dividenden und Pensionen, die sie für ihre Ver-
brechen von gestern verschlingen, im Halse stecken bleiben!

Leisten wir Widerstand gegen ehemalige
Nazi-Richter, Nazi-Staatsanwälte, Nazi-Gesetzgeber aller
Couleur, Nazi-Polizisten, Nazi-Beamte, Nazi-Verfassungs-
schützer, Nazi-Lehrer, Nazi-Professoren, Nazi-Pfaffen, Na-
zi-Journalisten, Nazi-Propagandisten, Nazi-Bundeskanzler,
und nicht zuletzt gegen
Nazi-Kriegsgewinnler, Nazi-Fabrikanten, Nazi-Finanziers.

Verweigern wir uns total den Nazis. Befolgen wir keine ihrer
Anweisungen. Sagen wir ihnen, daß wir sie bestenfalls igno-
rieren können. Damit legen wir den gesamten Apparat dieser
miesen Gesellschaft lahm, denn er besteht — bezeichnender-
weise! — zu einem lebenswichtigen Teil aus den alten Nazis.

Mobilisieren wir die permanente
ANTI - NAZI - KAMPAGNE
Bereiten wir den
AUFSTAND
gegen die Nazi-Generation vor.

Sonntag, 14. Januar 2018

Abschnitt 41


















Wo wir leben wollen? Irrerweise sagt es niemand schöner
als die Berliner Polizei:

Der Polizeiabschnitt 41 im Schöneberger Norden ist mit
3,16 km² Gesamtfläche der kleinste Abschnitt Berlins. Er
beherbergt etwa 57.000 Menschen.
Der Anteil ausländischer Bewohner für den gesamten Be-
reich liegt bei rund 25 %, wobei dieser sich im nördlichen
Bereich konzentriert. Deutlich wird dies insbesondere am
Beispiel einer Grundschule mit einem Ausländeranteil von
98 %. 
Auf relativ kleiner Fläche sind neben vielfältigsten Laden-
geschäften insgesamt 402 gastronomische Betriebe, sechs
Spielhallen und drei Diskotheken ansässig. Besonderer tou-
ristischer Anziehungspunkt ist der Wittenbergplatz und die
Tauentzienstraße mit dem KaDeWe.
Im Bereich Schöneberg Nord befindet sich die größte zusam-
menhängende Homosexuellenszene Europas, welche seit An-
fang der 80er Jahre eine starke Anziehungskraft entwickelt
hat und über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt ist. 
In der Vergangenheit hatten sich in der Kurfürstenstraße/
Potsdamer Straße Prostitution und Rauschgiftkriminalität
angesiedelt. Für eine effektivere Bekämpfung der Rausch-
gift- und Straßenkriminalität sowie für eine verbesserte Zu-
sammenarbeit mit Verwaltung, Wirtschaft, Hilfseinrichtun-
gen, Anwohnern und der Homosexuellenszene gründete der
Abschnitt 41 1997 das Präventions- und Ermittlungsteam.