Sonntag, 12. Dezember 2010

Sur une terrasse à Gordes


Gordes, Sommer 1966. Aus: François Fédier, Soixante-deux
photographies de Martin Heidegger
, Paris: Gallimard 1999.


Während des Seminars von Le Thor im September 1966 über-
raschte Heidegger die Teilnehmer mit der Frage: „Was ist
der Grundbegriff des Aristoteles?“ Da niemand antwortete,
warf der jüngste von ihnen nicht ohne Scheu ein: „Kynēsis,
die Bewegung“, was sich als richtig erwies. Wie aus der zi-
tierten Stelle der Nikomachischen Ethik (1106a, 22-23) her-
vorgeht, dient Aristoteles die Theorie der Potenz und des
Habitus vor allem dazu, die Bewegung ins Sein einzuführen.
Aristoteles sagt nicht „ist gut“, sondern „wird gut“ (agathos
gignetai): Es geht nicht nur darum, das Sein in Haben zu über-
führen, sondern auch das Sein in Tun und das Tun in Sein. Ge-
mäß dem Paradigma, das mit seinen Aporien die abendländi-
sche Ethik geprägt hat, wird der Tugendhafte, was er ist, und
ist, was er wird.

Giorgio Agamben, Opus Dei. Archeologia dell’ufficio (Homo
sacer, II, 5), Bollati Boringhieri, Turin, 2012, S. 110.