Montag, 14. Oktober 2019

HERKUNFT


















Was macht den Kurden in Rojava mehr zu schaffen: die
deutschen Fußballspieler Can und Gündoğan, die die un-
schöne Szene eines türkischen Nationalspielers auf Insta-
gram mit einem schnell wieder gelöschten Herz bedach-
ten, oder die über 300 Leopard-2-Panzer der türkischen
Armee? Wir wissen es nicht. So oder so, ihre HERKUNFT
ist gewiss: Sie alle, Fußballer wie Panzer, sind Made in
Germany. Sie kommen, um genau zu sein, aus Frankfurt
am Main, Gelsenkirchen, Kassel und München.

Handkes HERKUNFT das Wort steht hier als Reizwort im
Handke’schen Sinn („das Reizwort des Fußballverteidigers
ist / EIGENTOR“) in Majuskeln — ist schwerer zu ergründen.
Will man sich die Mühe machen, empfiehlt sich die Lektüre
des Buches Wunschloses Unglück, den beeindruckenden Ver-
such, dem Freitod seiner Mutter und der Großmutter seiner
zweieinhalbjährigen Tochter schreibend beizukommen — in-
dem er ihr Leben erzählt, das eigentlich erst mit dem Krieg
beginnt:

Es war für meine Mutter kein die zukünftige Empfindungs-
welt mitbestimmendes Angstgespenst der frühen Kinder-
jahre gewesen, wie es für mich dann sein sollte, sondern
zunächst nur das Erlebnis einer sagenhaften Welt, von der
man bis dahin höchstens die Prospekte betrachtet hatte.

Maria Siutz, wie Handkes Mutter bis Ende '42 heißt, geht 
mit Erich Schönemann, einem Sparkassenangestellten aus
Bad Sachsa, der als Zahlmeister der Wehrmacht in Kärnten
stationiert ist. Sie wird schwanger. Schönemann ist jedoch
verheiratet und verlässt Siutz vor der Geburt des gemein-
samen Sohnes. „Aus Pflichtgefühl“ sucht sie einen Vater
für das Kind. Unteroffizier Bruno Handke aus Berlin ergreift
die Chance. Es gilt eine Wette zu gewinnen. Nach Kriegsen-
de reist Maria Handke mit dem Sohn nach Berlin, um sich
bei ihrem Mann in Erinnerung zu rufen. Bis er sechs ist lebt
Peter Handke in Berlin-Pankow.

Ein tanzender Kreisel auf einer leeren Ruinenstraße.

Kurz vor der Blockade geht es zurück nach Griffen. Handke
berlinert. Keine gute Ausgangslage, um in Kärnten Anschluss
zu finden. Er flieht ins Internat. Erst nach der Matura erfährt
er, dass symbolischer und realer Vater in seinem Fall defini-
tiv nicht zusammenfallen. Hoffnung blüht auf, nur um beim
ersten Treffen enttäuscht zu werden: eine „Sparkassenexis-
tenz“, von der Angst getrieben, in Begleitung seines Sohnes
für einen „Hundertfünfundsiebziger“ gehalten zu werden.

Handke entscheidet sich für das „Slawentum“ seiner Mutter.
Deren Vorfahren sollen noch den slowenischen Namen Siveč
getragen haben. Doch vielleicht ist nicht nur Siutz ein einge-
deutschter slawischer Name, sondern auch der des ungelieb-
ten Mannes seiner Mutter. Denn es ist durchaus vorstellbar,
dass der Name Handke sorbischer HERKUNFT ist.

Bei so vielen Herkünften überrascht es nicht, dass Handke
irgendwann die Flucht nach vorn antritt — ihn führt sie ins
WEICHBILD von Paris.