Dienstag, 29. Juli 2008

Americans abroad


In den Cahiers du Cinéma hat Eric Rohmer Joseph Mankiewiczs
Film The Quiet American (1958) einmal als "einen der wenigen
großen politischen Filme der Geschichte des Kinos" bezeichnet.
Bei dem Film handelt es sich bekanntlich um die erste Verfilmung
von Graham Greenes gleichnamigem Vietnamroman. Wir erinnern
uns: Greene konstruiert eine Dreiecksbeziehung zwischen einem
zynischen britischen Reporter, seiner vietnamesischen Geliebten
und einem bei der Wirtschaftsmission
beschäftigten Amerikaner:
Fowler, Phuong und Pyle.

"Mankiewicz n'est peut-être pas des plus prolixes en ce qui concerne
les pures trouvailles cinématographiques. Mais, de celle-ci, n'en
figurât-il qu'une par film, que je ne la donnerai pas pour cent de
tel autre mises bout à bout. [...] C'est ici le mélange des langues,
esquissé dans le roman, mais dont le cinéma peut faire un visage
combien plus subtil et efficace. Le procédé, certes, n'est pas
nouveau, mais, jusqu'ici, il n'avait servi que d'ornement, alors qu'il
constitue le fond de cette histoire de plastique et de plastic."

Englisch, Französisch, Vietnamesisch und - wenn auch nur sechs
Worte ("Die Herren wünschen?", "Noch einen Whiskey?") - Deutsch.
Und da es sich um eine Tonspur handelt, vervielfachen sich Englisch
und Französisch durch die jeweiligen Akzente noch einmal: folglich
gibt es neben britischem (Fowler) und amerikanischem (Pyle) Englisch,
Englisch mit französischem und Englisch mit vietnamesischem Akzent,
und umgekehrt, Französisch mit
vietnamesischem und Französisch mit
englischem Akzent.

Kurz zuvor war Godards Kritik des Américain bien tranquille unter
dem Titel "Un athlète complet" in der
Zeitschrift Arts erschienen.
Und auch Godard sah vor allem in der Mehrsprachigkeit die größte
Stärke des Films: "Chaque séquence est d'une ingéniosité dramatique
(cf. la demande en mariage) telle qu'on se demande comment fera
le distributeur, s'il est honnête, pour doubler un film dont le principal
attrait est de jouer constamment sur le sens des mots et la différence
des langues."



PYLE. I want to marry you. [...] To make you happy and secure
for the future.


PHUONG. Qu'est-ce que c'est, »future«?


FOWLER. L'avenir.


PHUONG. Je comprends pas.


FOWLER. Ce qui arrivera un beau jour.


PHUONG. Aha?!


FOWLER: I'm afraid we're running into a real block here. Future
means nothing to her, not even in French. I doubt if she would
understand it in Vietnamese. The future is a foreign tense. People
who exist from day to day have little use for it.

Dienstag, 22. Juli 2008

Une invention sans avenir


Als im Vorführraum wieder die Lichter angehen, und Jerry
die Gelegenheit wahrnimmt, mit einer der Filmrollen als
Discobolo zu posieren, wird auch das Menetekel lesbar, das
im Herzen der Cinecittà vom blauen Grund der Wand weiß
absticht: Il cinema è un'invenzione senza avvenire. Der Satz
"Le cinéma est une invention sans avenir" stammt von Louis
Lumière und ist wahrhaft ein Menetekel. Wie bei Belsazars
Gastmahl wird ein Reich gewogen und für zu leicht befunden.
Diesmal trifft das Todesurteil das Höhlenreich des Kinos. Schon
früh von einem seiner Gründer verkündet, wird es 1963 in der
Cinecittà, in Kinepolis (was man mit Hauptstadt der Bewegung
übersetzen könnte) rechtskräftig. Seither sitzt das Kino in der
Todeszelle
.

Die Parteien sind zerstritten. Manche fordern die Begnadigung,
die Umwandlung in eine lebenslängliche Haftstrafe. Andere sind
der Überzeugung, dass es genügend neue Beweise gebe, um den
Prozess noch einmal ganz von vorne aufzurollen. Schließlich die
nekrophile Zunft der Philologen, die sich erwartungsgemäß dafür
ausspricht,
endlich das Urteil zu vollstrecken. Ihr Argument, dass
das
Dahinvegetieren des Kinos kein schöner Anblick sei, dass die
Vollstreckung ein Gnadenakt, eine Art
Sterbehilfe wäre, ist nicht
ganz ernst gemeint.
Und ihre Beteuerung, dass es auch für das
Kino ein Leben nach dem Tod gebe, ist sogar hinterhältig. Denn
für einen Film ist wohl keine größere Höllenqual denkbar, als in
alle Ewigkeit von nekrophilen Philologen, vor-und zurückgeblättert,
zerschnitten, transkribiert, korrigiert, d.h. wie ein Buch behandelt,
oder besser, geschändet zu werden.


Kleines, hör mal zu! Nimm mal den Quatsch, ich komm’ dann
gleich nach.

Dienstag, 15. Juli 2008

Ich habe etwas vergessen


Unter dem Vorwand, etwas vergessen zu haben, kehrt Georgia
Moll als Dolmetscherin Francesca zu Fritz Lang als Fritz Lang in
den Vorführraum zurück. Sie übersetzt aus dem Deutschen,
Französischen und Englischen ins Englische und Französische
und spricht soviel Deutsch, dass sie sich bei Mr Lang in seiner
sogenannten Muttersprache entschuldigen kann. Offensichtlich
ist sie mit Hölderlin vertraut. Zumindest legt das die kurze
Episode nahe, die sich nach ihrer überstürzten Rückkehr in den
Vorführraum abspielt.
Völlig unvermittelt beginnt Lang die letzte
Strophe der zweiten Fassung von Hölderlins Gedicht Dichterberuf
(vgl. Gottes Fehl hilft vom 7. Juli 2008) aufzusagen. Francesca,
die mittlerweile neben Fritz auf einem Sessel Platz genommen
hat, übersetzt:

FRANCESCA. Mais l'homme, quand il le faut, peut demeurer sans
peur seul devant Dieu. Sa candeur le protège et il n'a besoin ni
d'armes ni de ruses, jusqu'à l'heure où l'absence de Dieu vient à
son aide.
FRITZ. Très bien.
FRANCESCA. C'est de Hölderlin, n'est-ce pas Mr Lang?


FRITZ. Oui, La vocation du poète. Le dernier vers est très obscure.
Hölderlin avait écrit d'abord: "So lange der Gott nicht da ist".
FRANCESCA. Tant que Dieu ne fait pas défaut.


FRITZ. Oui. Et ensuite: "So lange der Gott uns nahe ist".
FRANCESCA. Tant que Dieu nous demeure proche.


FRITZ. Vous voyez, la rédaction du dernier vers contradit les deux
autres. Ce n'est plus la présence de Dieu, mais l'absence de Dieu,
qui rassure l'homme. C'est très étrange mais vrai... Comment est-ce
qu'on dit "étrange" en italien?
FRANCESCA. Strano.

Mag es auch befremden, wahr ist, dass den Menschen nicht mehr
die Anwesenheit der Götter, sondern ihre Abwesenheit beruhigt
(
rassurer), oder, um es zu paraphrasieren, ihm Geborgenheit gibt.
Unwahr, oder zumindest philologisch nicht korrekt sind hingegen
Langs Ausführungen zu den unterschiedlichen Fassungen des
Hölderlingedichts. Zwar liegt die letzte Zeile in drei Fassungen vor,
diese stimmen aber nicht mit den von Lang zitierten überein. In
einer Vorstufe der 1. Fassung lautete sie: "Furchtbar in ihnen der
Gott; er muß es." Warum Lang sagt, der Dichter hätte zunächst
geschrieben: "So lange der Gott nicht da ist", ist nicht nur deshalb
seltsam, weil ein solcher Satz bei Hölderlin nirgends zu finden ist,
sondern auch, weil auf diese Weise der letzten Fassung ihre Pointe
genommen wird. Erst sie sollte nämlich in einer brüsken Wendung
behaupten, dass "Gottes Fehl hilft".

Bezeichnenderweise übersetzt Francesca Langs Worte völlig "falsch".
Denn "
Tant que Dieu ne fait pas défaut" heißt, "so lange Gott nicht
fehlt", also das genaue Gegenteil von dem, was Lang sagt.
(Wenn
Francesca kurz darauf Langs "
So lange der Gott uns nahe ist" mit "Tant
que Dieu nous demeure proche
" übersetzt, berichtigt sie ihn übrigens
ein weiteres Mal. Sie übersetzt nämlich nicht Lang, sondern Hölderlins
Text.
Dort heißt es in der Tat: "... so lange der Gott uns nah bleibt".)
Doch halten wir ein, um uns kurz zu besinnen. Natürlich dolmetscht
Francesca nicht die Worte Langs, sondern Georgia (sic) Moll, stellt
eine vielsprachige "Chef-Assistentin" dar. Sie übersetzt nicht, sondern
spricht, was im Drehbuch steht. Und in ihrem Fall akzeptieren wir
das auch umstandslos. Nicht so bei Lang. Da er kein Schauspieler sei,
könne er nur sich selbst spielen. Doch wie die Textanalyse gezeigt
hat, ist auch er nicht eins mit seiner Rolle, auch er spricht lediglich,
was im Drehbuch steht.

Dem zufolge stellt Lang weniger einen Regisseur im Allgemeinen dar.
Vielmehr soll er das cinematographische Vermächtnis des Abendlands
seit Homer personifizieren, welches offensichtlich deutsch ist, d.h.
gräkophil, was man am besten durch Hölderlinzitate bezeugt. Wenn
man Langs Filme Revue passieren lässt, kommt man ziemlich schnell
zu der Überzeugung, dass er sich also keinesfalls selbst spielen kann.
In der etwas erratischen Gedichtinterpretationssequenz gibt es sogar
recht eindeutige Indizien dafür, dass Lang hier eine konkrete Figur der
französischen Kultur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielt
:
Maurice Blanchot, der es seinerseits verstand, so gut wie
unsichtbar
zu bleiben. Zumindest legt das die Lektüre des Hölderlin-Itinerars
nahe, das
als letzter von vier Anhängen Blanchots 1955 erschienenes
Buch L'espace littéraire beschließt:

"A la fin du poème intitulé Vocation du poète, il avait d'abord écrit:

Mais, quand il le faut, l'homme reste sans peur
Devant Dieu, la simplicité le protège,
Et il n'a besoin ni d'armes, ni de ruse,
Aussi longtemps que le Dieu ne lui fait pas défaut.

Mais, plus tard, à la place de ce dernier vers, il écrivit: «Jusqu'à
ce que le défaut de Dieu l'aide.» Ce remaniement est étrange. Que
signifie-t-il?"

Montag, 7. Juli 2008

Gottes Fehl hilft


"Furchtlos bleibt aber, so [er es] muß, der Mann


Einsam vor Gott, es schüzet die Einfalt ihn,


Und keiner Waffen brauchts und keiner


Listen, so lange, bis Gottes Fehl hilft."

In Godards Le mépris (1963) sagt
Fritz Lang bekanntlich die letzte
Strophe der zweiten Fassung von Friedrich Hölderlins Dichterberuf
auf. Zunächst möchte man meinen, dass hier ein deutscher Regisseur
offenbart, was ihm im Exil die wahre Heimat war: die im
jederzeit
aus dem Gedächtnis abrufbaren Gedicht zur Vollendung gebrachte
Muttersprache. Doch sogleich melden sich Zweifel an. Denn schon in
der ersten Zeile kommen ihm zwei Wörter abhanden: von
Hölderlins
"so er es muß" bleibt bei Lang nur noch "so muß" übrig. Daß es sich
bei dieser Auslassung um einen Versprecher handelt, legt der
zum
getragenen Ernst, in dem diese Zeilen vorgetragen werden, nicht
recht passende Anflug verlegener Heiterkeit
nahe, der die Mimik des
Altmeisters für Bruchteile von Sekunden erfasst. Offensichtlich hatte
Lang Hölderlins Strophe eigens für die Dreharbeiten auswendig lernen
müssen. Lang spielt in Godards Film also nicht, wie man leichthin
sagt, "sich selbst". Vielmehr sorgt seine deplazierte Anwesenheit
dafür, dass auf eine der denkwürdigsten (und von jenen, die vom Kino
unterhalten zu werden erwarten, meistgehassten) Sequenzen der
Filmgeschichte das glänzend herniederregnet, was Goetz einmal
"herrlich flirrenden Echtweltstaub" genannt hat.

Es ist jedoch nicht die Rarität von Auftritten Fritz Langs in Kinofilmen,
die die andauernde Faszination (resp. Abstoßung) jener Sequenz im
Vorführraum ausmacht, sondern seine Funktion in einer komplizierten,
vollkommen unfilmischen Sprachpolitik: die Funktion des Polyglotten
(der er tatsächlich ist). Sechs Personen befinden sich in dem kleinen
Kino: zwei mehr oder weniger stumme (Skriptgirl, Filmvorführer),
zwei monoglotte (Paul, Jerry) und zwei polyglotte (Fritz, Francesca).
Es gibt zwei Geschäftssprachen (Englisch, Französisch). Warum Lang,
der immer wieder problemlos ins Englische und Französische switcht,
von Zeit zu Zeit Deutsch spricht, lässt sich nur so erklären, dass auf
diese Weise Francesca Vanini, die dem Produzenten Jerry Prokosch
als Geliebte und Dolmetscherin dient, besser in Szene gesetzt werden
kann.

Zitiert Mr Lang auf Deutsch alteuropäisches Bildungsgut, übersetzt
Francesca ins Französische, damit Paul versteht und seine einsprachig
kodierte Bildung beisteuern kann. So im Fall von Dantes "berühmter"
Odysseus-Stelle (Hölle, 26. Gesang), die Lang unvermittelt deutsch
zu zitieren beginnt:

O meine Brüder, wenn ihr nach hunderttausend
Gefahren die Grenzen des Okzidents habt erreicht
[...]
Zögert nicht, dem Weg der Sonne folgend
Die unbewohnten Welten zu ergründen.

Nachdem Francesca übersetzt hat ("O mes frères, qui à travers
cent mille dangers/Etes venus aux confins de l'Occident/Ne vous
refusez pas à faire connaissance/En suivant le soleil du monde
inhabité"), zitiert Lang – nun auf Französisch – was Dantes Odysseus
für unsere Bestimmung hält: nicht wie die Tiere zu leben, sondern
nach Wissen und Tugend zu streben. Auf Langs etwas oberlehrerhafte
Frage, ob jemand wisse, von wem diese Zeilen wohl stammen, kann
Paul nun beflissen antworten, dass die Stelle sehr berühmt und von
Dante sei, um dann versonnen jene zwei Zeilen aufzusagen, die den
traurigen Ausgang der Episode zusammenfassen. Doch er kann nur
deshalb zur Kontinuität der Überlieferung beitragen, weil eine sehr
unsichtbare Frau als wundersames Echo die unverständlichen Worte
Langs in Pauls (nicht Jerrys) Sprache wiederholt. Nicht nur hier bedarf
die Überlieferung, wenn sie in Gang bleiben will, der Übertragung.