Mittwoch, 8. Juli 2015

State of the Art


















Wie Cord gelegentlich seiner Besprechung von Goetz’ los-
labern einmal feststellte, „geht der proustianische Leni-
nist so wach durch die Schlucht der Buchmesse, dass ihm
das schönste Geschenk der Wirklichkeit, die Todesfahrt
des Jörg Haider, zu dem »Realkunstwerk des Jahres 2008«
wird.“ Die Passage zum Haider-Crash sei sprachlich Auge
in Auge mit Thomas Bernhard: „eine der schönsten des Bu-
ches und dabei ohne Häme“. Grund genug, die Stelle ein-
mal im Zusammenhang zu lesen.

Der Haider-Crash war das Realkunstwerk des Jahres 2008,
das Überkunstwerk überhaupt, ich hatte in den Nächten
vor der Buchmesse nichts anderes gemacht, als stunden-
lang im Internet die letzten und neuesten Details zur To-
desfahrt des Haider mir anzuschauen, alles zu lesen, was
dazu geschrieben und gemeldet wurde, und mir vorallem
bis ins allerletzte genau diese berühmten allerletzten Se-
kunden und Sekundenbruchteile im Leben des Haider, von
seinem Bewusstsein aus gesehen, ganz genau vorzustellen,
räumlich, gedanklich, gefühlsmäßig, verbal, die Obszönität
dieser Hineinversetzung in den Haider war mir dabei klar,
aber egal, die Vorstellung dieses tatsächlich ja Geschehnis
gewesenen Realitätsmoments war eine für mich vernünfti-
ge, richtige, sozusagen phantastische Empathie ins Nicht-
phantastische realer Welten. Besonders dieser eine Stein
am Straßenrand hatte es mir angetan, der dafür gesorgt
hatte, dass der Haider diesen einfachen Überschlag in sei-
nem an sich ja todsicheren Phaeton nicht überlebt hatte,
weil dieser Stein exakt an der Stelle am Straßenrand ge-
standen hatte, wo der haidersche Phaeton ausgerechnet
mit der Windschutzscheibe, also ohne jeden Schutz, auf-
geschlagen und eingeschlagen war, wäre der Stein da
nicht gewesen oder der Phaeton auch nur ein kleines biss-
chen weiter oder weniger weit herumgewirbelt gewesen
an dieser Einschlagsstelle, wäre der Haider kopfschüttelnd
aus seinem gar nicht so extrem zerstörten Wrack ausge-
stiegen, hätte seinen Lebensmenschen, den verrückten
Stefan »Lebensmensch« Petzner, angerufen, dass er ihn
schnell abholen soll, bevor die Polizei kommt usw, aber
diese Möglichkeit hatte das Zusammentreffen von Straßen-
randstein und Wirbelwinkel des Autos nicht zugelassen,
der Kopf des Haider hatte sich, bei Tempo 170 durch die
flache Kurve schwebend, eine elektronische Animation
war schon in der zweiten Nacht zugänglich, von einer
quasi hinter dem Auto herfliegenden Kamera aus gesehen
konnte man die letzten paar hundert Meter der Fahrt des
Phaeton vor dem Crash genau und immer wieder nachvoll-
ziehen, exakt auf diesen einen Stein hinbewegt, um an
diesem Stein so zerschmettert zu werden, dass das in die-
sem Kopf befindliche Hirn des Haider so kaputt gegangen
war, dass allein von daher ein Weiterleben des Haider-
schen Bewusstseins und seines sonstigen Körpers nicht
mehr möglich gewesen war. 

Mittwoch, 1. Juli 2015

Im Winterquartier der Theorie

















 
Die Theorie, die bekanntlich schon seit langem klein und
hässlich ist und sich nicht darf blicken lassen, sucht seit
fünfundzwanzig Jahren nach einem geeigneten Winter-
quartier. Weder Drittmittelanträge, noch Manifeste von
Aktivisten, Paratexte der sogenannten Kunstwelt und der
Stadttheater aller Sparten konnten ihr zum Habitat wer-
den. Womöglich ist sie nun doch noch fündig geworden:
Sie quartiert sich bei Gucci ein. 

Gewinnen soll immer das Mannequin, das man ›kapitalis-
tischen Realismus‹ nennt. Es kann es ohne weiteres mit
jedem aufnehmen, wenn es die Theorie in seinen Dienst
nimmt.



















Oder ist alles ganz anders? Ist Alessandro Micheles Theo-
riemode nur der Vorwand für die Möglichkeit eines ande-
ren Lebens. Einiges spricht dafür. Vor allem seine präten-
tiösen cartelle stampa, seine schwülstigen press notes.
Bestes Beispiel: die letzte Presseerklärung im Original:

“Il détournement è il contrario della citazione” (Guy De-
bord). È un gioco capace di rimettere in circolo frammen-
ti decontestualizzati, oggetti ritrovati per caso e strappa-
ti alla loro storia, preesistenze che smarriscono il loro
senso originario. È un agire che prende e ricolloca, che
distrugge e fa rinascere. È un posizionamento in cui co-
esistono negazione e preludio.



 














In questo senso, il détournement si configura come una
pratica estetica che riannoda frammenti dispersi all’in-
terno di un nuovo insieme significante. Attraverso una
ludica capacità di intercettare e riassemblare l’esisten-
te in un inedito quadro di senso, ogni frammento acqui-
sisce un nuovo impulso vitale. Il risultato è una partitu-
ra di indizi recuperati dove coesistono significati antichi
e qualità emergenti. Una polifonia eclettica in cui segni
e mondi vitali acquisiscono nuove accezioni e valori.
La collezione Uomo Primavera/Estate Gucci by Alessan-
dro Michele si muove proprio in questa direzione. Ogni
abito è costruito attraverso accostamenti e giustapposi-
zioni di memorie che vengono proiettate in un nuovo o-
rizzonte poetico. Poetico in quanto germinativo di ine-
diti significati. Forme, decori, dettagli e lavorazioni si
amalgamano all’interno di una trama rinnovata dove si
producono slittamenti di senso. Da questo punto di vis-
ta, il recupero di frammenti provenienti da un altrove
spazio-temporale non è il ritorno dell’identico, non è la
riproposizione del passato come fatto inerte. Piuttosto
è il ridiventar possibile di ciò che è stato. È la reinven-
zione di occasioni accantonate. La memoria infatti è uno
strumento potente, capace di restituire al passato la sua
possibilità (G. Agamben) e una nuova ragion d’essere.


















In questa cornice, la pratica giocosa del détournement 
situazionista produce uno spiazzamento dello sguardo.
Attraverso la riappropriazione di frammenti discorsivi
decontestualizzati, elabora un nuovo linguaggio, una
nuova idea di bellezza. Ma il principio compositivo che
la sostanzia non è solo di carattere estetico. Il détour-
nement è anche e soprattutto un dispositivo politico.
La sua forza consiste nella possibilità di superare l’esis-
tente e di far intravedere nuove possibilità di libertà di
emancipazione. Si tratta di un cammino che, nel ritrova-
re “quel giusto senso dell’anacronia” (J. Derrida), è ca-
pace di rimettere in connessione la scatola dei ricordi
con quella dei sogni e di riannodare, in nuove forme, i
serbatoi della memoria con i barlumi di immaginario
che ci conducono verso il futuro.

PS. IS = Internationale der Situationisten.