Samstag, 24. Mai 2014

Das Licht der Welt


















erblickte heute vor 470 Jahren William Gilbert, physician,
vor 328 Jahren Daniel Gabriel Fahrenheit, Physiker, vor
321 Jahren Georg Raphael Donner, sculptor, vor 271 Jah-
ren Jean Paul Marat, Volksfreund, vor 195 Jahren Victoria,
Queen, vor 159 Jahren Lady Florence Dixie, suffragette,
vor 115 Jahren Suzanne Lenglen, joueuse de tennis, wie
auch Henri Michaux, Dichter, vor 100 Jahren Lilli Palmer,
actress, vor 83 Jahren Michael Lonsdale, acteur, vor 77
Jahren Archie Shepp, Hipster, vor 74 Jahren Иосиф Алек-
сандрович Бродский, Dichter, vor 73 Jahren Bob Dylan,
Rumpofsteelskin, vor 67 Jahren Martin Winterkorn, top
earner, vor 64 Jahren Heidi Paris, Gestalterin, und vor 60
Jahren Rainald Goetz, Diener der Schrift.

Donnerstag, 22. Mai 2014

A sinister sense of transvestitism


















Aus gegebenem Anlass paar dreiunddreißig Jahre alte Wor-
te des damals zweiundzwanzigjährigen Morrissey über die
New York Dolls:  

„Lou Reeds lustlos gejammertes we’re coming out, out of
our closets konnte von denen, die längst von David Bowies
undefinierbarem Geschlecht bezaubert oder angeekelt wa-
ren, nur mild belächelt werden. All das war ein harmloser
Spaß, der von immer mehr Bands eifrig übernommen wurde:
Kirschroter Lippenstift wurde für die frühen 70er so emble-
matisch wie Ziegenbärte und Ledersandalen für die späten
60er. Die New York Dolls jedoch konnten viele gar nicht lus-
tig finden. Ihr Transvestitismus war zu finster. Roxy Music
war high camp, Marc Bolan poovery […] — solche Labels tra-
fen auf die Dolls nicht zu. Die Dolls waren schlicht bisschen
zu echt. Es war ein Stil der über das Feminine hinausging;
ein goteskes Zusammenspiel von Pumps, toupiertem Haar,
schwarzem Lippenstift, Nagellack, exaltiertem Gehabe…
und alles unglaublich perfekt und vollkommen natürlich. Mit
einem Schlag bekam Bowies pompadour posing einen scha-
len Beigeschmack, wurden Alice Coppers Netzstrumpfhosen
mit dem Gelächter bedacht, das sie verdienten, und Roxy
Music stieg auf Hollywood gloss um.“

 

Mittwoch, 21. Mai 2014

Adieu au langage


















The idea is simple:
A married woman and a single man meet.
They love, they argue, fists fly.
A dog strays between town and country.
The seasons pass.
The man and woman meet again.
The dog finds itself between them.
The other is in one,
the one is in the other
and they are three.
The former husband shatters everything.
A second film begins:
the same as the first,
and yet not.
From the human race we pass to metaphor.
This ends in barking
and a baby's cries.
In the meantime, we will have seen
people talking of the demise of the dollar,
of truth in mathematics
and of the death of a robin.


Montag, 19. Mai 2014

O mundo em casa de amigos


















O mundo em casa de amigos: So könnte man den Slogan
des Horrorsommers 2006 ins Portugiesische übersetzen,
der seinerzeit ausgegeben wurde, um einen rückhaltlosen
Chauvinismus zu bemänteln. Wem dies nicht von Anfang
an klar war, wurde eines besseren belehrt, als die großar-
tige italienische Mannschaft um Cannavaro und Pirlo im
Halbfinale Klinsmanns Dilettantentruppe ihre Grenzen auf-
zeigte. Wer nicht allein zu Haus vor seinem Fernseher saß,
musste sich ernsthaft fragen, wohin er auswandern sollte.
Die verräterische Sprachregelung der gleichgeschalteten
Presse lautete hinfort, dass Deutschland der Weltmeister
der Herzen sei.

Dann lieber herzlos sein. Wie die Brasilianer. Wer, wenn
nicht sie, könnten dem Spuk, der auch vernünftige Men-
schen zur Weltmeisterschaft erfasst, ein Ende bereiten: 
Não vai ter copa!    

Dienstag, 13. Mai 2014

Programmiertes Vergessen


















Der EuGH hat entschieden: Es gibt ein „Recht, vergessen
zu werden“. Diese Entscheidung wird allseits gefeiert. Es
sei ein Meilenstein für den „Datenschutz“ und so kurz vor
der Europawahl ein unmissverständliches Signal. Das ist es
allerdings. Denn das „Recht auf Vergessen“, das jetzt als
non plus ultra gefeiert wird, ist nicht bürgerrechtlichen,
sondern polizeilichen Ursprungs. Um das zu verdeutlichen,
müssen wir noch einmal auf den Erfinder der Rasterfahn-
dung zurückkommen, von dem hier erst kürzlich die Rede
war: BKA-Präsident Dr. Horst Herold (vgl. Konsumterroris-
ten vs. Nerd, 29.03.14). Der hatte im Februar 1980 in Den
Haag einen Vortrag gehalten, dessen gekürzte Fassung in
der von der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Ju-
risten Berlin herausgegebenen Zeitschrift Recht und Politik 
(Juni 1980) überliefert ist.

Schon der Titel macht deutlich, dass sich in den letzten 34
Jahren eine fundamentale Verschiebung ereignet hat: „Po-
lizeiliche Datenverarbeitung und Menschenrechte“. Denn
heute geht es nicht mehr um die Eingrenzung „polizeilicher
Tätigkeit“, die, wie der damalige Präsident des Bundeskrimi-
nalamts ausführt, „das Sammeln, Auswerten oder Anwenden
von Informationen, also von Daten, voraussetzt“. Offensicht-
lich bewertet Herold „das Sammeln und Auswerten von Da-
ten“ als Gewalt, auf die bekanntlich der Staat das Monopol
hat. Bei der Lektüre von Herolds Überlegungen darf man al-
so nicht vergessen, dass sie im Rahmen der Verbrechensbe-
kämpfung formuliert wurden. Umso beängstigender ist es,
dass sie sich wie ein Kommentar des gerade ergangenen Ur-
teils lesen lassen.

Möglichkeiten von Angriffen auf die Menschenwürde finden
sich bereits in den Strukturen der Elektronik angelegt. Die
moderne Informationstechnologie lädt geradezu ein, die ört-
lich und sachlich gezogenen Grenzen ihrer Anwendung auf-
zuheben, die Enge und Isoliertheit der Ressorts aufzulösen,
innerstaatliche und nationale Grenzen zu überwinden und
Wissen in immer größer werdenden Speichern zu sammeln.
Die Grenzenlosigkeit der Informationsverarbeitung würde es
gestatten, das Individuum auf seinem gesamten Lebensweg
zu begleiten, von ihm laufend Momentaufnahmen, Ganzbil-
der und Profile seiner Persönlichkeit zu liefern, es in allen
Lebensbereichen, Lebensformen, Lebensäußerungen zu re-
gistrieren, zu beobachten, zu überwachen und die so gewon-
nenen Daten ohne die Gnade des Vergessens ständig präsent
zu halten.

Eben darum formuliert Herold Grundsätze, die die Gefahren,
die von der Datenverarbeitung strukturell ausgehen, begren-
zen sollen. Im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH beson-
ders interessant ist der fünfte Grundsatz: „Programmiertes
Vergessen“:

Wahrung der Würde des Menschen bedeutet, ihn nicht immer
wieder aufs neue mit einer Vergangenheit zu konfrontieren,
von der er sich innerlich und äußerlich abgelöst hat. Daher
arbeitet auch der moderne Strafvollzug auf eine Wiederein-
gliederung des Straftäters in die Gesellschaft hin. Alle Kul-
turrechte gewähren Gnade des Vergessens früherer Strafta-
ten nach Ablauf von Zeiträumen, die nach der Schwere der
begangenen Tat bemessen sind. Auch die elektronische Da-
tenverarbeitung darf diesen Gedanken nicht missachten. Ih-
re Eigenart gestattet es, den Vorgang des Vergessens selbst
zu automatisieren. Durch Vorgabe von Löschungsfristen, die
automatisch überwacht und eingehalten werden, ist ein pro-
grammiertes Vergessen möglich. Zugleich vermag die Maschi-
ne automatisch Benachrichtigungen zu versenden, die die Po-
lizeidienststelle auf das Heranstehen von Aussonderungsfris-
ten für Kriminalakten oder sonstige polizeiliche Unterlagen
hinweisen. Das Vergessen in der Form der Vernichtung von
Unterlagen wird von der Maschine mit hoher Zuverlässigkeit
bewirkt. Dies gilt insbesondere bei Zentralisierung und Über-
tragung sämtlicher Löschungsakte von Vorgängen auf einem
zentralen Rechner. […] Der Rechner selbst verwandelt sich zu
einem an Zuverlässigkeit unüberbietbaren Kontrollorgan.