Mittwoch, 20. August 2008

San Giorgio degli Schiavoni


Als ich vor gut einem Jahr einen Freund in Venedig besuchte,
bürgerte sich alsbald eine rigide Tagesordnung ein, die vorsah,
dass ich nach einem gemeinsamen Kaffee
gewisse, von meinem
Freund ausgewählte Orte im Labyrinth der Gassen aufzusuchen
und sorgfältig zu untersuchen hatte. So konnte er
den Vormittag
über ungestört arbeiten.
Während des gemeinsamen Mittagessens
zählte ich jene Momente auf, die mich auf meinen Exkursionen
am tiefsten beeindruckt hatten. Jeden Mittag aufs Neue verfiel
ich in eine
Orgie detaillierter Affirmation, die beweisen sollte,
dass ich die mir gestellte Aufgabe gewissenhaft erfüllt habe. Eines
schönen Vormittags ging es nach Castello. Zuerst stattete ich Santi
Giovanni
e Paolo einen Besuch ab, dann verharrte ich, Bartolomeo
Colleoni im Rücken, staunend vor der Fassade der Scuola Grande
di San Marco
, die schon seit langem ospedale civile, öffentliches
Krankenhaus ist. Doch das eigentliche Ziel der Tagesreise lag noch
vor mir:
die Scuola di San Giorgio degli Schiavoni, die einst der
"slawonischen" Bruderschaft als Versammlungsort diente.

Wenn man sie endlich gefunden hat, versteht man, warum sie
nicht zu den Scuole Grandi gezählt wird. Erst wenn man eintritt
und sich die Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnt haben,
begreift man, wo man sich befindet: in Carpaccios Welt. Den
haben die Dalmatiner nämlich Anfang des 16. Jahrhunderts dazu
überreden können, ihren bescheidenen Betsaal auszumalen. Sie
wünschten sich Szenen aus dem Leben ihrer Lieblingsheiligen.
Neben Georg war dies Hieronymus, da er aus Dalmatien stammte.
(
Dass man heute bei dem Wort Dalmatiner an eine spektakuläre
Hunderasse denkt und nicht an den Kirchenvater, kann insofern
als
Ironie der Geschichte verbucht werden, als sich Hieronymus
in seiner Funktion als Fundamentalist und Hassprediger einmal
dazu hinreißen ließ, Kaiser Julian postum als einen rabidus canis,
einen "tollen Hund"
[Ep. LXX] zu beschimpfen.)