Donnerstag, 17. Oktober 2013
Zur Unzeit geboren
Auf Georg Büchners Geburtstag liegt ein Fluch, der Fluch
des Aufmerksamkeitsdefizits. Während der Schlacht gebo-
ren zu sein, in der Napoleons Grande Armée den Truppen
der alliierten Mächte des Ancien Régime unterlag, verhieß
für einen Autor wie Büchner nichts Gutes. Die Flut der bie-
deren Gedenkreden des Jahrestagefeuilletonismus und der
Applaus für die Jubiläumsinszenierungen gehen im streber-
haft heraufbeschworenen Schlachtlärm unter. Die dumme
Koinzidenz vermasselte schon Büchners „Säkulartag“. Ed-
gar Steiger, ein sozialdemokratischer Theaterkritiker, Pro-
pagandist des Naturalismus und Verfasser satirischer Lyrik,
schrieb in einer Besprechung der Uraufführung des Wozzek,
der am 8. November 1913 im Residenztheater München zu-
sammen mit Dantons Tod aufgeführt wurde:
Man hat Georg Büchners hundertste Geburtstagsfeier ver-
schoben, weil man das düstere Revolutionsdrama des ein-
undzwanzigjährigen „Hochverräters“ nicht am Gedenktage
der Schlacht bei Leipzig aufführen wollte. Und da fügte es
ein näckischer Zufall, daß die Aufführung der Guillotinen-
tragödie gerade an dem Tage stattfand, an dem der neue
bayerische König den Verfassungseid ablegte, und daß im
Hoftheater die Marseillaise ertönte, während die Regiments-
musik draußen die Königshymne spielte.
Verflucht ist der 17. Oktober auch deshalb, weil heute vor
vierzig Jahren, an Büchners 160. Geburtstag, die Bachmann
in einem römischen Krankenhaus an den Folgen der schweren
Verbrennungen starb, die sie sich am 26. September in ihrer
Wohnung zugezogen hatte. 1973 war auch das Jahr, an dem
Peter Handke den (mittlerweile retournierten) Büchner-Preis
erhielt. In seiner Ingeborg Bachmann gewidmeten Dankrede
legt Handke ein Geständnis ab, das auch von Büchner stam-
men könnte:
Seit ich mich erinnern kann, ekle ich mich vor der Macht, und
dieser Ekel ist nichts Moralisches, er ist kreatürlich, eine Ei-
genschaft jeder einzelnen Körperzelle. […] Was mich unfähig
und unwillig zu einer politischen Existenz macht, ist nicht der
Ekel vor der Gewalt, sondern der Ekel vor der Macht; die Macht
erst, indem sie es sich erlauben kann, aus der Gewalt ein Ritual
zu machen, läßt diese als das Vernünftige erscheinen. Unüber-
windlich ist mein Widerwillen vor der vernünftelnden Gewalt
der Macht; als gestalt- und leblos empfinde ich bis heute fast
alle, die mächtig sind. Und aus dieser Empfindung erlöst keine
Dialektik.