Mittwoch, 25. Januar 2017

Heimatstadt


















All jenen, die glauben, man könne sich eine Millionenstadt
aneignen, indem man sogenannte Baumscheiben einzäunt
und bepflanzt, verwahrloste Spielplätze mit Spendengel-
dern „aufhübscht“, usw., sei mit Furio Jesi, jenem allzu
früh (1941-1980) durch einen banalen Haushaltsunfall hin-
weggerafften Turiner Wunderkind, ein für allemal gesagt:

Man kann eine Stadt lieben, man kann ihre Häuser und
Straßen in der liebsten und ältesten Erinnerung tragen,
aber erst in der Stunde der Revolte wird die Stadt wirk-
lich als die eigene empfunden: eigene, weil Schauplatz
eines Kampfes, für den man selbst und das Kollektiv sich
entschieden hat; die eigene, weil umschriebener Raum,
in dem die historische Zeit aufgehoben ist und wo jede
Tat in sich selbst Gültigkeit hat, mit ihren absolut un-
mittelbaren Folgen. Man eignet sich eine Stadt wesent-
lich mehr an, indem man in den aufeinanderfolgenden
Angriffswellen mit vorprescht und zurückweicht, als wenn
man als Kind auf ihren Straßen spielt oder später mit ei-
nem Mädchen auf ihnen dahingeht. In der Stunde der Re-
volte ist man nicht mehr allein in der Stadt.

Die schöne Stelle stammt aus Furio Jesi, „Die Suspendie-
rung der geschichtlichen Zeit“, dem ersten Kapitel von 
Spartakus. Simbologia della rivolta, Turin, Bollati Borin-
ghieri 2000. Barbara Kleiners Übersetzung des ersten Ka-
pitels erschien 2012 als N°069 der 100 Notes 100 Thou-
ghts / 100 Notizen 100 Gedanken im Rahmen der docu-
menta 13. Kleiner hat auch Jesis nachgelassenes Roman-
fragment L’ultima notte übersetzt. Die letzte Nacht er-
schien 1991 in einem Freiburger Kleinverlag.