Donnerstag, 15. August 2019

Estate Italiana Tour


















Betrachtet man das Foto von Benito Mussolini aus dem
Jahr 1932, das ihn am Strand von Riccione zeigt, kommt
einem unwillkürlich Matteo Salvini in den Sinn, der gera-
de seine Sommertour an den Stränden Süditaliens absol-
viert. Hat man erst vor einem Monat selbst Strandurlaub
in Sizilien gemacht, fällt es schwer, diese Ähnlichkeit be-
deutend zu finden: Italiener in Badehose, mehr nicht. In
diesem Fall spricht jedoch einiges dafür, dieser Anamne-
sis auf den Grund zu gehen. Dabei kann es nicht darum
gehen, Salvini als Wiedergänger Mussolinis zu identifizie-
ren. Vielmehr gilt es, die Unterschiede herauszuarbeiten,
um dem Zombie-Faschismus des italienischen Innenminis-
ters nicht in die Hände zu spielen.

Zunächst fallen die Unterschiede in der physischen Er-
scheinung ins Auge: Mussolini hat weder eine Deppenfri-
sur, noch trägt er einen Spießerbart. Auch ist der auf dem
Foto 49-Jährige sichtlich bemüht, den Bauch einzuziehen,
während der drei Jahre jüngere Salvini seinen erheblich
formloseren ungeniert hervortreten lässt. Entscheidender
ist jedoch ein anderer Unterschied: Abgesehen von der Ba-
dehose verzichtet Mussolini auf jedes Accessoire, während
Salvinis Handgelenke zahlreiche Kettchen und PVC-Bänder
schmücken. Die trägt er schon seit geraumer Zeit. Neu ist 
das Tau-Kreuz, das Salvini bei einigen seiner Strandveran-
staltungen ganz amtlich am Band mit drei Knoten — um
den Hals trug. In Assisi ist das Lieblingssymbol des hl. Fran-
ziskus an jeder Ecke käuflich zu erwerben, die drei Knoten,
die auch die Kordel der Franziskaner zieren, stehen für die
drei evangelischen Räte: Keuschheit, Armut und Gehorsam.


















Niemals hätte sich Mussolini, der antiklerikale mangiatore
di preti, der sprichwörtliche „Priesterfresser“, ein Abzei-
chen sogenannter Volksfrömmigkeit um den Hals gehängt.
Dass er sich dennoch mit Pius XI sehr gut arrangiert hat,
kann man in Giorgio Agambens Buch Herrschaft und Herr-
lichkeit nachlesen. Im 12. Abschnitt des 7. Kapitels („Die
Macht und die Herrlichkeit“), in dem Agamben eine schöne
Stelle aus Ernst H. Kantorowiczs 1946 erschienener Studie
Laudes Regiae referiert, heißt es:

Zwischen dem 13. und dem 16. Jahrhundert kommen die
Laudes in der Liturgie und bei Krönungszeremonien außer
Gebrauch. Im Laufe der zwanziger Jahre des 20. Jahrhun-
derts tauchen sie völlig unerwartet wieder auf: Die Lau-
des stehen im Zentrum der konvergierenden Spannungen
zwischen Pius XI., der im Februar 1922 zum Papst gewählt
wird, und Benito Mussolini, der im Oktober desselben Jah-
res an die Macht kommt. »Auf die faschistische Herausfor-
derung antwortete der Papst, ohne die Tür ganz zuzuschla-
gen, mit einer Gegenherausforderung: der Einsetzung des
Christkönigsfests‹ am Ende des heiligen Jahres 1925.« In
der feierlichen Messe zu Ehren dieses Festes erlebte das
Christus vincit, Christus regnat, Christus imperat seine Auf-
erstehung. Schnell wurde es populär und dank des bestän-
digen Oszillierens zwischen Heiligem und Profanem, das die
Geschichte der Akklamationen kennzeichnet — schon bald
von den faschistischen Parteimitgliedern übernommen, die
es unter anderem während des spanischen Bürgerkriegs san-
gen. Schon 1929 wurden die Laudes Regiae vom faschistischen
Bildungsminister in eine offizielle Sammlung »patriotischer
Lieder« aufgenommen, in der der ursprüngliche Text der vita- 
Akklamation folgende Abwandlung erfährt: Duci Benito Musso-
lini italicae gentis gloriae pax, vita et salus perpetua.

Die untergründige Solidarität von Faschismus und Klerikalismus,
die sich 1929 in den von Mussolini und Francesco Pacelli ausge-
handelten Lateranverträgen als Klerikofaschismus manifestiert,
wurde vom 2. Vatikanischen Konzil irreparabel beschädigt. So-
gar Joseph Ratzinger musste einsehen, dass dieser Bruch nicht
zu kitten ist. Immerhin gelang ihm die Spaltung der römisch-
katholischen Christenheit. Bezeichnenderweise nimmt Salvini
diese Einladung nicht an. Er pfeift auf lateinische Messe und
Pius-Brüder. Salvinis Zombie-Faschismus ist, um Martin Mose-
bach zu zitieren, eine „Häresie der Formlosigkeit“. Dass kirch-
liche Würdenträger wie der Bischof von Mazara del Vallo, Mon-
signor Domenico Mogavero, Salvinis Missbrauch christlicher Sym-
bole entschieden verurteilt haben, war erwartbar. Aber auch
Italienern, die der katholischen Kirche weniger verbunden sind,
stößt das degoutante Gebaren des Chefs der rechtsextremen
Lega übel auf: Andrea Camilleri sogar so sehr, dass er, gut einen
Monat bevor er starb, seinen Ekel in aller Deutlichkeit zum Aus-
druck brachte. Non credo in Dio, ma vederlo impugnare il rosa-
rio dà un senso di vomito. Fa parte della sua volgarità!